Gravel Schaltungen Masterclass
- Adrian Werner
- 23. Nov. 2023
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Dez. 2023
Keine andere Fahrradkategorie bietet mehr Auswahlmöglichkeiten, ziemlich unterschiedliche Schaltungen zu verbauen, als Gravelbikes. Im Laufe unserer ausführlichen und individuellen Beratung, passen wir Dein Bike und sämtliche Zubehörteile optimal an Deine Bedürfnisse an.
Die Unterschiede zwischen den Gravelschaltungen lassen sich in drei Ketegorien unterteilen:
1. Bandbreite
Die Bandbreite beschreibt die Größe der Differenz zwischen dem kleinsten und größten Gang. Eine große Bandbreite ermöglicht sowohl eine sehr niedrige Geschwindigkeit bergauf, als auch eine hohe Geschwindigkeit bergab. Sie wird in Prozent angegeben (größer ist besser).
2. Anzahl der Kettenblätter
Dass Rennräder meistens mit zwei Kettenblättern und MTBs mit einem Kettenblatt fahren, ist natürlich kein Zufall.
2.1 2x Antriebe
Ein zweites Kettenblatt ermöglicht es Rennrädern, eine kleine Kassette mit geringen Gangsprüngen zu nutzen, weil die große Differenz der beiden Kettenblätter die Bandbreite aufrechterhält. Das ermöglicht eine größtmögliche Ausschöpfung des Leistungspotentials.
Mit einem durchschnittlichen Gangunterschied von lediglich 11,48% (GRX 12s 11-36), kann man sich den optimalen Gang sehr genau aussuchen.
Auf asphaltierten Straßen ist die Steigung meistens relativ konstant. Egal ob in der Ebene, Bergauf oder Bergab, die Steigung ändert sich nicht alle 20 Meter. Wenn ein Rennradfahrer seine Leistung bestmöglich abrufen will, benötigt er eine feine Abstufung der Gänge. So findet er einen Gang, der nicht zu langsam und auch nicht zu schnell für ihn ist und kann die Höhe des Tretwiderstands genau anpassen, wenn sich der Gegenwind oder die Steigung leicht verändert.
Zwar gibt es bei 2x12s Antrieben 24 verschiedene Kombinationen aus Kettenblättern und Ritzeln, davon sind allerdings einige Gänge doppelt vorhanden. In der Praxis sind also je nach Variante zwischen 15 und 18 individuelle Gänge möglich.
Fazit 2x: In welchem Szenario ist eine Schaltung mit zwei Kettenblättern am Gravelbike sinnvoll?
Wenn man auf seinen Graveltouren härteres Gelände meidet und hauptsächlich auf Forstwegen und Asphalt unterwegs ist, sind 2x Antriebe eine gute Wahl. Auch Rennradveteranen, die sich auf tausenden Kilometern an die Bedienweise und die geringen Gangunterschiede gewöhnt haben, werden mit dieser Schaltung sehr zufrieden sein.
2.2 1x Antriebe
Weil man bei 1x Schaltungen keine Rücksicht auf den Umwerfer nehmen muss, kann man die Größe des Kettenblatts äußerst frei wählen. Dadurch sind deutlich niedrigere Gänge möglich.
Im Gegensatz zu vielen Asphaltstraßen, können Schotter- und Waldwege extrem steil sein. Auf festem Untergrund kann man das Fehlen eines kleinen Ganges gut durch Wiegetritt kompensieren, indem man unter Einsatz des vollen Körpergewichts ein höheres Drehmoment erzeugt. Dabei verlagert man allerdings sein Körpergewicht nach vorne und entlastet dadurch das Hinterrad. Auf steilen Schotterwegen verliert der Hinterradreifen so schnell die Traktion, das Rad rutscht durch und der Schwung geht verloren.
Auf Graveltouren durch Waldgebiete begegnet man regelmäßig tiefen Schlammlöchern und matschigen Fahrrinnen von Traktoren. Die größeren Gangsprünge und sehr niedrigen Gänge eines 1x Antriebs ermöglichen es, zügig in einen kleinen Gang schalten zu können, damit man nicht im Schlamm stecken bleibt. So kann man sich bei niedriger Geschwindigkeit durch ein Schlammloch hindurchwühlen.
Auf einer Bikepacking-Tour befindet sich häufig eine Zuladung von 10 Kg oder mehr am Rad. Damit man die Höhenmeter der langen, aufeinanderfolgenden Etappen gut bewältigen kann, helfen niedrige Gänge, um sich kraftsparend fortzubewegen.
Bei 1x Antrieben muss die Kette nicht zwischen mehreren Kettenblättern bewegt werden können. Die Zähne dürfen das Kettenblatt sicher festhalten und verhindern so zuverlässig, dass die Kette bei Erschütterungen vom Kettenblatt fällt.
sogenannte "Narrow Wide" Zähne füllen die abwechselnd breiten und schmalen Innen- und Außenlaschen der Kette perfekt aus. So wird die Kette wird sicher auf dem Kettenblatt gehalten.
So beschreibt SRAM das hauseigene, spezielle Zahnprofil: "X-SYNC™ 1x-Kettenblätter von SRAM sorgen für höchste Performance und Haltbarkeit. Die langen SRAM X-SYNC™- Zahnkanten greifen die Kette früher als traditionelle Zähne in Dreiecksform. Das scharfe und schmale Zahnprofil sowie die abgerundeten schrägen Kanten unterstützen die Kettenführung. Um auch bei schlammigem Terrain die bestmögliche Leistung zu bieten, verfügen X-SYNC™-Kettenblätter über Vertiefungen zum Abtransport von Schmutz und matsch für die inneren Kettenglieder und -rollen. Die in Deutschland hergestellten X-SYNC™-Kettenblätter sind ein wichtiger Bestandteil des 1x™-Antriebs von SRAM"[1]
Ein fehlender Umwerfer bietet mehr Platz für breite Reifen.
Bei manchen Fahrradmodellen kann man mit 1x Antrieben breitere Reifen fahren, als mit 2x Antrieben, weil das Innenleitblech des Umwerfers nicht in Gefahr läuft am Reifen zu scheuern.
Die Bedienung von 1x Schaltungen ist sehr einfach
Im Gegensatz zu Antrieben mit zwei Kettenblättern, muss man sich bei 1x Antrieben keine Gedanken über die Kombination von Kettenblatt und Ritzel machen. Man schaltet bloß hoch oder runter. Das macht die Schaltung sehr interessant für Anfänger, obwohl auch Profis die simple Schaltlogik zu schätzen wissen.
Fazit 1x Wer profitiert von Antrieben mit einem Kettenblatt?
Wer nicht zwingend auf niedrige Gangsprünge angewiesen ist, kann von den zahlreichen Stärken der 1x Antriebe profitieren. Das gilt vor allem für Gravelbiker mit viel Gepäck, technisch herausvordernden Routen und/oder Einsteiger.
3. mechanisch/elektrisch
Obwohl mechanische Schaltungen bei Rennrädern und Mountainbikes immer mehr an Relevanz verlieren, gibt es für Gravelbikes nach wie vor sehr attraktive mechanische Schaltgruppen.
Die Stärken einer mechanischen Schaltung liegen auf der Hand. Die Anschaffungskosten sind verhältnismäßig niedrig und es müssen keine Akkus aufgeladen werden. Elektronische Schaltungen bieten dahingegen vielseitige und teilweise subtile Vorteile.
Die Schaltknöpfe einer elektronischen Schaltung können individuell Programmiert werden.
Mechanische 1x Antriebe können nur allein mit der rechten Hand bedient werden, weil der eine Schaltzug vom Schaltwerk nur zu einem Hebel gelegt werden kann. Im Gegensatz dazu kann man bei einer elektronischen Schaltung frei entscheiden, welcher Knopf welchen Schaltvorgang auslöst.
Es können zusätzliche Schaltknöpfe montiert werden.
Die Blips genannten Zusatzschaltknöpfe können am Oberlenker, Unterlenker oder auch am Ende eines Zeitfahrlenkers montiert werden. Dadurch muss man nicht die gegenwärtige Handposition verlassen, wenn man den Gang wechseln will
Elektronische Schaltknöpfe können mehr, als nur zu Schalten
Egal ob man gerade mit hoher Geschwindigkeit bergabfährt, oder im Wiegetritt bergauf, in vielen Situationen will man keine Hand vom Lenker nehmen. Trotzdem ist es manchmal notwendig die Anzeigeseite des Tachos zu wechseln, weil beispielsweise ein Abbiegehinweis unklar ist und man zur Kartenansicht wechseln muss. Außerdem lässt sich auch manches Zubehör wie zum Beispiel Fahrradlichter und absenkbare Sattelstützen über die Schaltknöpfe steuern.
Elektronische Schaltknöpfe lassen sich leichter betätigen
Während ein mechanischer Schalthebel für einen Gangwechsel zwangsläufig einen gewissen Hebelweg voraussetzt, drückt man bei einer elektronischen Schaltung nur eine Taste. Diese Tatsache erleichtert das Schalten im Unterlenker ungemein. Darüber hinaus kann man den Schaltknopf auch von den Hoods aus allein mit dem kleinen Finger betätigen.



Elektronische Schaltungen vereinfachen die Bedienung
Damit Umwerfer bei 2x Antrieben präzise schalten können, muss der innere Abstand der Kettenleitbleche relativ klein sein. Das hat zur Folge, dass die Kette in manchen Gangkombinationen am Umwerfer schleifen kann. Aus diesem Grund verfügen Rennrad- und Gravelumwerfer über zwei Positionen pro Kettenblatt, die man bei einer mechanischen Schaltung manuell ansteuern muss. Ein elektronischer Umwerfer sucht sich immer selbstständig die richtige Position.
Weil der Gangsprung zwischen zwei Kettenblättern sehr groß ist, kompensiert man diesen meistens mit einem zeitgleichen Schaltvorgang an der Kassette. Diese sogenannte Kompensationsschaltung kann man bei elektronischen Schaltungen nach Belieben programmieren und automatisieren.
Eine elektronische Schaltung vereinfacht die Instandhaltung
Mechanische Schaltungen können sich im Gegensatz zur elektronischen Variante verstellen, weil der Schaltzug länger wird oder sich eine Endkappe bewegt. Auch eingerostete, eingeknickte und schwergängige Schaltzüge sind nicht ausgeschlossen.
Die Einstellung einer elektronischen Schaltung erfolgt per App, die einem sämtliche erforderlichen Schritte anschaulich erklärt.
Die Montage von Bauteilen ist sehr simpel, weil man keine Schaltzüge durch den Rahmen verlegen muss (Ausnahmen bestätigen die Regel).
4. Die verschiedenen Gravel-Schaltungen im Überblick
Die Hersteller SRAM und Shimano bieten ihre Gravel-Antriebe in verschiedenen Güteklassen an. Die Unterschiede der Varianten äußern sich hauptsächlich in der Verarbeitungsqualität, den verwendeten Materialien und damit auch in ihrem Gewicht.
Shimano
Die Gravelserie von Shimano heißt GRX, der Großteil dieser Schaltungen funktioniert mechanisch. Die erste Zahl definiert die Güteklasse (größer ist besser). Die hinteren zwei Zahlen unterscheiden 1x von 2x und mechanische von elektrischen Varianten. Zusätzlich geben sie einen Hinweis auf die Generation.
SRAM
Nahezu alle SRAM Schaltungen sind elektronisch, diese besitzen dann die Zusatzbezeichnung AXS (sprich „Access“). Die Güteklassen werden mit unterschiedlichen Namen gekennzeichnet. In aufsteigender Reihenfolge: Apex, Rival, Force, Red
Campagnolo
Campagnolo nennt seine Gravelbaureihe Ekar. Die Schaltung verfügt als einzige über 13 Ritzel und ist ausschließlich mit einem Kettenblatt verfügbar.
5. Die drei Hauptkategorien von Gravelschaltungen
5.1 Schaltungen mit zwei Kettenblättern (Bandbreite: 479%-516%)
[GRX-RX610] [GRX-RX820] [Force Wide AXS]
Link zur Grafik
Diese Kategorie bietet alle genannten Vorteile von 2x Antrieben. Gravelschaltungen mit zwei Kettenblättern unterscheiden sich von Rennradschaltungen lediglich durch niedrigere Gänge und eine „Clutch“ im Schaltwerk. Letztere soll ein Herunterfallen der Kette im Gelände verhindern.
5.2 1x mit kleiner Kassette (Bandbreite: 440%-479%)
[GRX-RX610] [GRX-RX-820][Apex XPLR] [Rival XPLR AXS] [Force XPLR AXS] [Red XPLR AXS] [Ekar]
Die 1x Antriebe mit kleiner Kassette sollen die Vorteile von fein abgestuften 2x Antrieben und geländegängigen 1x Antrieben vereinen. Wer die Einfachheit und Zuverlässigkeit von 1x Antrieben schätzt und größeren Wert auf kleine Gangsprünge legt, findet mit der dieser Kategorie eine sinnvolle Option
5.3 1x mit großer Kassette, auch „Mullet“ (Bandbreite: 500%-520%)
[GRX-RX610] [GRX-RX820] [Apex/NX] [Rival/GX AXS] [Force/XO1 AXS] [Red/XX1 AXS]

Durch den Einsatz von riesigen Kassetten besitzt diese Kategorie die größte Bandbreite. Zusammen mit allen Vorteilen von 1x Antrieben sind „Mullet“ Schaltungen die beste Wahl für technisches Gelände, sehr steile Anstiege und schwer bepackte Räder.
besondere Erwähnung:
5.4 SRAM Transmission „Mullet“ (Bandbreite: 520%)
[Rival/GX AXS] [Force/XO AXS] [Force/XX AXS] [Red/XX-SL AXS]
SRAM Transmission Schaltwerke sind die Weiterentwicklung der Mountainbike Schaltwerke. Sie ersetzen ein spezielles Schaltauge und werden direkt am Fahrradrahmen befestigt, was sie noch robuster macht. Die Transmission Schaltwerke sind nicht mit jedem Fahrradrahmen kompatibel. Voraussetzung für diese Schaltung ist ein Fahrradrahmen mit „UDH“ (Universal Derailleur Hanger) Schaltauge.
6. Datenauswertung Gravel Schaltungen
Sämtliche Angaben zu Entfaltung und Geschwindigkeit basieren auf der Reifengröße ETRTO: 40-622 und einem Kettenblatt mit 40 Zähnen.
6.1 Bandbreite
Formel: (größtes Ritzel/kleinstes Ritzel)/(kleines Kettenblatt/großes Kettenblatt)
6.1.1 Bandbreite 1x mit kleiner Kassette
6.1.2 Bandbreite mit großer Kassette und 2x
6.2 Geschwindigkeit und Abstufung
Der Ø Gangsprung beschreibt die durchschnittliche Differenz (in Entfaltung oder Geschwindigkeit) zwischen den unterschiedlichen Gängen eines bestimmten Antriebs.
6.2.1 1x mit kleiner Kassette
XPLR vs. GRX 10-45 Vs. Ekar
Campagnolo Ekar 13s 10-44:
Der zusätzliche Gang der 13s Ekar ermöglicht einen sehr konstanten und berechenbaren Geschwindigketsanstieg.
SRAM XPLR 12s 10-44:
Der Geschwindigkeitsverlauf der XPLR Schaltung ist auch verhältnismäßig linear. Im zweiten Drittel (9.-11. Gang) sind die Gangsprünge jedoch etwas größer.
Shimano GRX 12s 10-45:
Die Schaltung von Shimano hat bei niedrigen Geschwindigkeiten die feinste Abstufung. Deswegen müssen die Gangsprünge in den schnellen Gängen aber umso größer ausfallen.
6.2.2 alle Ekar Kassetten im direkten Vergleich
Die Geschwindigkeit bei der Ekar 9-36 und 9-42 ist ab dem 6. Gang identisch. Die Ekar 9-36 ist jedoch in den niedrigen Gängen davor feiner abgestuft, dafür ist die Bandbreite der Ekar 9-42 deutlich größer.
6.2.3 GRX 1x11s
Die erste GRX Generation ist nach wie vor sehr verbreitet. Wem die geringe Bandbreite der Standardkassette (11-42) nicht ausreicht, der kann sich mit Bauteilen des polnischen Herstellers Garbaruk (11-50) behelfen.
6.2.4 1x mit großer Kassette
Mullet 10-52 vs. GRX 10-51
Um den Unterschied in den niedrigen Gängen besser darstellen zu können, wird hier statt der Geschwindigkeit, die Anzahl der Zähne je Ritzel abgebildet. Je mehr Zähne am Ritzel (hier y-Wert), desto niedriger ist der Gang. Alle drei Varianten sind in den Gängen 5-12 deckungsgleich, der Unterschied zeigt sich ausschließlich in den niedrigen Gängen.
Die ersten beiden Gangsprünge der SRAM Eagle Mullet sind ziemlich groß
Die Transmission Kassette verkleinert den ersten Gangsprung und gleicht das bis Gang 4 wieder aus. Sie verläuft insgesamt mehr linear
Ähnlich zur Transmission Kassette, verlaufen die niedrigen Gänge der Shimano Variante verhältnismäßig linear. Der geringfügig kleinere Zähneanzahl des größten Ritzels fällt kaum ins Gewicht.
6.2.5 2x Antriebe
GRX 12s vs. Force Wide
Entfernt man bei einer GRX 2x12 (11-36) sämtliche doppelt auftretenden Gänge (≥ 3,5% Differenz) und sortiert das Ergebnis nach der Entfaltung, erhält man 18 Gänge und eine völlig unbrauchbare Gangabfolge. Ein so regelmäßiger Kettenblattwechsel ist wegen der notwendigen Kompensationsschaltungen völlig praxisfern.
Mit einer sinnvollen Reihenfolge ergeben sich bei diesem Antrieb 16 individuelle Gänge.
Für die Force Wide AXS 43/30 10-36 definiert SRAM in „Sequential Shift“ 15 Gänge beim Hochschalten. Der zusätzliche effektive Gang der GRX 12s ermöglicht sehr konstante Gangsprünge. In den hohen Gängen entwickeln sich daher die Gänge bei SRAM progressiver.
Quellenverzeichnis:
[1] https://www.sram.com/de/sram/models/cr-xsnc-dm-a1#:~:text=Technologien-,X%2DSYNC%E2%84%A2,schr%C3%A4gen%20Kanten%20unterst%C3%BCtzen%20die%20Kettenf%C3%BChrung
Comentarios